Slight Agitation 2/4, Infection

Noch bevor eine Zeichnung, ein Bild oder eine Narration sichtbar wird, übt das knallgrüne Licht aus der Ferne eine schier magische Anziehung aus.

Schritt um Schritt im Halbdunkeln die Treppe hoch tappend wird der Schein aus der Zisterne intensiver bis sich beim Eintreten auf die Besucherplattform schlagartig die giftgrün beleuchtete spitzbogige Umrisslinie eines Berges materialisiert. Obwohl diese Art von leuchtend grünem Licht in der Natur niemals vorkommt, weckt es trotz seiner Künstlichkeit eine vage Reminiszenz intensiver Naturerfahrungen. Erinnerungen an durch blendend weisses Licht retroilluminierte Bergketten beim Morgengrauen oder die in rosa Töne getauchten Silhouetten beim Sonnenuntergang. Doch die künstliche Aufschichtung in der ehemaligen Destillerie der «Società Italiana Spiriti», welche alte Wald- und Spielgeister heraufbeschwört, entpuppt sich als fragiler Sandhaufen. Tatsächlich entbehrt die Materialanhäufung der Urner Künstlerin der tausendjährigen Stabilität der Innerschweizer Granitgiganten. Die einzelnen Sandkörner mit den Augen abtastend, steigt allmählich ein unangenehmer Geruch die Nasenwände empor: die Kunsterfahrung wird synästhetisch und involviert nun ausser der visuellen Wahrnehmung auch den Geruchsinn. Der Sand wurde mit einem im Labor hergestellten Katzensermon behandelt, welches für sexuelle Anziehung mitverantwortlich zeichnet. Die Substanz spielt offenbar eine Rolle in der Übertragung der Toxoplasmose-Infektion und es wird sogar behauptet, «Chanel 5» verschulde ihr seinen Reiz. Wie eine Wissenschaftlerin untersucht Pamela Rosenkranz (1979) in ihrer Installation ‹Infection› die kaum wahrnehmbaren Signalstoffe und hinterfragt hiermit die chemischen Grundlagen, welche hinter dem biologischen Funktionieren von Begierde und Abstossung agieren und die Lebewesen dazu führen sollen, sich gegenseitig mit Liebe oder Hass zu «infizieren». Der grüne Sandberg ist Teil einer 4-er Serie von Site-spezifischen Interventionen mit dem Titel «Slight Agitation», welche vom «Thought Council» der Fondazione Prada in Mailand kuratiert worden ist und ausserdem Arbeiten von Tobias Putrih (1972), Laura Lima (*1971) und dem österreichischen Kollektiv Gelitin vorsieht. Das junge Kuratorenteam erhielt von Frau Prada einen unmissverständlichen Auftrag: «Ihr seid hier zum Denken“! Die Aufforderung ist ganz offensichtlich in die Auswahl der Kunstschaffenden eingeflossen und kann mühelos an die Betrachterinnen und Betrachter weitergeleitet werden.



9.2.-14.5.2017

Fondazione Prada, Milano


Published in
Kunstbulletin 5/2017

Exhibition View, Slight Agitation 2/4: Pamela Rosenkranz, Infection, 2017, Fondazione Prada, Milan. Courtesy Fondazione Prada (Foto: Delfino Sisto Legnani and Marco Cappelletti)
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Exhibition View, Slight Agitation 2/4: Pamela Rosenkranz, Infection, 2017, Fondazione Prada, Milan. Courtesy Fondazione Prada (Foto: Delfino Sisto Legnani and Marco Cappelletti)

Exhibition View, Slight Agitation 2/4: Pamela Rosenkranz, Infection, 2017, Fondazione Prada, Milan. Courtesy Fondazione Prada (Foto: Delfino Sisto Legnani and Marco Cappelletti)
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Exhibition View, Slight Agitation 2/4: Pamela Rosenkranz, Infection, 2017, Fondazione Prada, Milan. Courtesy Fondazione Prada (Foto: Delfino Sisto Legnani and Marco Cappelletti)