Letizia Battaglia – Eindringliche Bilder einer mutigen Kämpferin

Brutal ermordete Cosa-Nostra-Opfer, Staatsbegräbnisse, Mafia-Maxiprozesse. Jungs beim Killerspiel, Mädchen und Mütter mit melancholischem Blick. Kaum eine Fotografin rückt die Widersprüche der blutigen Mafiakriege in den 1970ern, 1980ern prägnanter und unerschrockener ins Bild als Letizia Battaglia.

Genua — 2017 reihte die New York Times Letizia Battaglia unter die elf einflussreichsten Frauen der Welt ein. Der Palazzo Ducale in Genua widmet ihr nun, ein Jahr nach ihrem Ableben, eine grosse Ausstellung. Battaglia bedeutet Schlacht: ein Name, ein Programm! Die palermitanische Fotojournalistin war schon als Kind feinfühlig und kämpferisch zugleich. Als sie im von Männergewalt dominierten Sizilien von ihrem Vater eingesperrt wurde, flüchtete sie mit sechzehn Jahren ins Familienleben mit drei Töchtern und später aus dem Heiratsgefängnis nach Mailand, wo sie die Fotografie entdeckte. Von einer steten inneren Unruhe gehetzt, raste Letizia während Jahrzehnten als Reporterin der Tageszeitung L’Ora mit ihrer Vespa durch Palermo und lichtete von der Mafia ermordete Richter, Polizisten, Mafiosi, Unternehmer und Politiker in ihrer frischen Blutlache liegend ab. Sie dokumentierte mutig Mafiamonsterprozesse und Beerdigungen der Cosa Nostra-Opfer. Aber Battaglia zeigte auch die humane, melancholische und poetische Seite Palermos. Sie tauchte tief in die Armenquartiere ein, wo sie mit Vorliebe die Mädchen ablichtete: Beim Anprobieren von Kleidern, beim Ballspielen, in der Strasse posierend. Und die Familien: eine Frau, die mit ihren Kindern das Bett nie verlässt, das Kleinkind, dem eine Ratte den Finger abgeknabbert hat, mit Pistolen hantierende Jungs. Battaglias soziales Engagement ging über die Fotografie hinaus. Sie gründete die Zeitschrift Grandevù wie auch die Edizione della Battaglia, und sie politisierte im Gemeinderat von Palermo und später als Regionalabgeordnete.
Ihre schwarz-weissen Bilder sind streng komponiert. Weitwinkel wechseln ab mit Nahaufnahmen; oft dominieren schräge Linien, welche die permanente Instabilität der gesellschaftlichen Situation zum Ausdruck bringen. Der Kurator Paolo Falcone meint im Katalogtext, Battaglia’s Bilder hätten «die visuelle Potenz von Weegee und die expressive Humanität von Dorothea Lange».
Battaglia hat einige weltberühmte Bilder geschossen. Der Blick durch das Autofenster auf den vor Frau und Tochter ermordeten sizilianischen Regionalpräsidenten Piersanti Mattarella, Bruder des aktuellen Staatspräsidenten, ist eines. Ein anderes den später ebenfalls ermordeten Richter Giovanni Falcone am Begräbnis des Mafiaopfers General Dalla Chiesa vor einer Reihe strammstehender Carabinieri. Für Letizia Battaglia war Fotografie ein Instrument im Gesellschaftskampf, an dem sie fast zerbrach. «Ich bin eine von jenen, die es auch hätte nicht schaffen können.»



29.4.-1.11.2023
Exhibition
Palazzo Ducale Genova


Published in
Kunstbulletin 9/2023

Letizia Battaglia, Der Richter Giovanni Falcone an der Beerdigung des Generals Carlo Alberto Dalla Chiesa. Palermo, 1982, © Archivio Letizia Battaglia
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Letizia Battaglia, Der Richter Giovanni Falcone an der Beerdigung des Generals Carlo Alberto Dalla Chiesa. Palermo, 1982, © Archivio Letizia Battaglia

Letizia Battaglia, Die Kinder spielen mit den Waffen, die sie am 2. November, dem Tag der Toten von den Eltern geschenkt bekommen haben. Palermo, 1986, © Archivio Letizia Battaglia
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Letizia Battaglia, Die Kinder spielen mit den Waffen, die sie am 2. November, dem Tag der Toten von den Eltern geschenkt bekommen haben. Palermo, 1986, © Archivio Letizia Battaglia