Orizzonte Nord-Sud

Der erste Gedanke beim Begehen des neuen Luganer Kulturzentrums LAC in der postmodernen Hülle des Tessiner Architekten Ivano Gianola kreist um die Identitätsfindung dieser Region, die traditionellerweise im Dazwischen weilt. Ein Stück Lombardei in der Eidgenossenschaft, eingezwängt zwischen dem Gotthardmassiv und der Poebene. Als Durchgangsgebiet und multikulturelles Auffangbecken reagiert die italienische Schweiz einerseits mit Öffnung, andererseits mit Feindseligkeit gegenüber allem von aussen kommendem «Fremden». Die Suche nach einer eigenen Identität ist auch Ausgangspunkt der Eröffnungsausstellung des MASI Lugano (Museo d’Arte della Svizzera Italiana), wie Direktor Marco Franciolli im hervorragenden Katalog festhält: «Die Tatsache, einer sprachlichen Minderheit in einer multikulturellen Nation anzugehören, wirkt sich auf die Konstruktion der eigenen Identität aus (…), denn ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln, braucht in diesem Fall einen starken Willensakt.»

Demzufolge «bespielt die Ausstellung die Thematik der künstlerischen Identität nördlich und südlich der Alpen», indem sie 18 Künstler/innen paarweise mit sorgfältig kunstgeschichtlich recherchierten, formalen und inhaltlichen Kriterien der Differenz und Ähnlichkeit gegenüberstellt. Beim Eingang treffen wir auf zwei präromantische Künstler: Die Landschaften von Caspar Wolf eröffnen erstaunliche formale Analogien zu den Ruinenzeichnungen des Giovanni Battista Piranesi. De Chiricos von der Antike angehauchte metaphysische Malerei findet ihr Gegenüber in Arnold Böcklins Symbolismus, und Ferdinand Hodler begegnet Adolfo Wildt in den ausgehöhlten Totendarstellungen und Porträts. In Ankers und Morandis malerischen Erforschungen des Stilllebens zeigen sich formale Ähnlichkeiten, ebenso wie bei Lucio Fontana und Alberto Giacometti, bei denen die vertikalen Linien der Schnitte bzw. der Schattenfiguren ins Auge stechen. Als Go-Between vereint Paul Klee in seiner Sensibilität für Mittelmeerfarben sowohl die nördliche Strenge wie das formauflösende Licht des Südens. Es ist zu hoffen, dass das interdisziplinäre LAC, das auch einen starken Akzent auf Kunstvermittlung und Experimente setzt, trotz Betriebsbudgetkürzungen der zunächst vorgesehenen CHF 8 Mio. auf CHF 6 Mio. seinen Beitrag zu Kulturaustausch und Identitätsbildung und somit zur Öffnung der italienischen Schweiz beizutragen vermag.



2015

LAC Lugano


Published in
Kunstbulletin 12/2015


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Blick aus dem neuen Kulturzentrum LAC auf den Luganersee (Foto: Barbara Fässler)
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