Wunder des Universums

Es gibt wohl die unterschiedlichsten Beweggründe Kunst zu sammeln: persönliches Interesse an Kunst, Wohltätigkeit durch Mäzenatentum, finanzielle Investition und Spekulation oder das Bedürfnis einen kulturellen Beitrag an die Gesellschaft zu leisten. Ganz anders gelagert ist die Motivation von Ruedi Bechtler, einem der wichtigsten Schweizer Sammler der Gegenwartskunst: „Weil es nichts besseres gibt“…

So beschreibt der gelernte ETH-Ingenieur und konvertierte Künstler im Gespräch, was ihn antreibt: „Es ist immer spontan. Ich bin sehr interessiert an neuen Ausdrucksformen, an neuen Werken und an neuen spannenden Bezügen, die sich ergeben. Ich kann nicht genau sagen, wie und warum. Ich sehe ein Werk und dann macht es klick. Wie ich das erkenne? – Ich sehe es und dann erwerbe ich es.“
Ruedi Bechtler entspringt einer der einflussreichsten Sammlerfamilien der Schweiz. Bereits sein Vater Walter sowie sein Onkel Hans sammelten Kunst und waren 1965 als Mitbegründer der Alberto Giacometti-Stiftung mitverantwortlich, dass der Kauf der Giacometti-Sammlung von G. David Thompson mit privaten Geldern gelingen konnte, nachdem die öffentliche Hand sehr knapp dagegen gestimmt hatte, und dieser konsistente Werkkorpus somit heute in öffentlichen Museen zu sehen ist. Die vom Vater gegründete Walter A. Bechtler Stiftung, welche Werke zeitgenössischer Plastik erwirbt und diese an der Öffentlichkeit zugänglichen Orten zur Verfügung stellt, wurde in den 1990er-Jahren von den beiden Söhnen Ruedi und Thomas übernommen. Nach den Werken „Heureka“ von Jean Tinguely und dem „Cube“ von Sol LeWitt, deren Platzierung der Presse jeweils viel Stoff zum Reden bescherte, wurde 2010 der „Moosstein“ von Fischli/Weiss installiert. Im Jahr 2001 ist des Weiteren in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) das von Christoph Schenker kuratierte Projekt „Public Art Plaiv“ in vier Engadiner Gemeinden (Zuoz, Madulain, S-chanf und La Punt Chamues-ch) entstanden. Präsentiert wurden in diesem Rahmen bereits Werke von Martin Kippenberger, Kawamata, Lawrence Weiner, Ken Lum, Betham Huws und James Turrell.
Als mich Ruedi Bechtler freundlich in sein Atelierreich in Zürich-West geleitet, tauche ich unmittelbar ein in ein Universum voller Gegenstände, Lichtobjekte aus Sammelstücken, gespiegelter Fotografien und energiegeladener Tuschezeichnungen. Die Frage, wie die Praxis des Künstlers die Sammlertätigkeit beeinflusst – und umgekehrt, drängt sich auf. Welches sind die Themenstränge, die ihn interessieren und worin besteht ein Zusammenhang zur eigenen Kunst? Ruedi Bechtler denkt laut nach: „Ja, das Auge des Praktikers. Genau. Da besteht sicher ein Zusammenhang. Zwei Künstler, die ich sehr mag, sind Carsten Höller und Simon Starling. Beide befassen sich mit Umwelt, mit Energie, mit der Endlichkeit, mit Drogen, mit dem Universum. Fischli/Weiss kenne ich seit 40 Jahren. Mit Roman Signer und Pipilotti Rist habe ich schon einige Projekte initiiert.“ Beim gemeinsamen Durchblättern seines Künstlerkatalogs „Flip-Flop“, 2010 anlässlich einer Ausstellung in der Galerie Ziegler, Zürich, bei JRP Ringier erschienen, tauchen diese inhaltlichen Bezüge noch schärfer auf. Beispielsweise durch lose gestreute Zitate wie etwa dieses von Max Planck: „Geist ist der Urgrund der Materie“, oder jenes von David Bohm und David Peat: „Spiel, so scheint es, ist das eigentliche Wesen des Denkens“ (aus: Das neue Weltbild: Naturwissenschaft, Ordnung und Kreativität, München 1990, S. 57).
So unterstreicht der Künstler-Sammler einerseits seinen spielerischen Zugang zur Kunst sowie zur Welt und andererseits sein vertieftes Interesse für Naturphänomene im Mikro- und Makrokosmos, welches sich in thematischen Fotoarchiven zu den Themen Wasser, Sandburgen, Abfälle, aber auch in Bioexperimenten in seiner künstlerischen Auseinandersetzung niederschlägt: „Etwas, das übergreifend ist, von hier nach da, ist das Wunder des Universums. Zum Beispiel der Vogelflug. Wer ist auf die Idee gekommen? Wie war das überhaupt möglich, dass eine Feder entwickelt wurde, vorerst ohne ersichtliches Ziel? Das ist unglaublich! Und danach hat der Vogelflug tatsächlich funktioniert. Das ist der Kern von allem, von meinem Interesse, von allem, was ich mache. Auch der Zufall ist ein sehr wichtiges Element.“
Aber das Projekt, welches Ruedi Bechtler am meisten am Herzen liegt, ist das hoch über Zuoz thronende Hotel Castell, das er 1996 von seinem Schwiegervater übernommen hat und flugs in ein Kunstmekka der besonderen Art umfunktioniert hat. Die Fotografien, Installationen und Malereien seiner Sammlung, welche großzügig die Gänge und die Hotelzimmer bevölkern, folgen gleichwohl den stringenten künstlerischen und wissenschaftlichen Fragestellungen des Initiators. Ebenso die „Castell Art Weekends“, welche jährlich dort stattfinden. In diesem Jahr, vom 23. bis 25. September, wird über das Thema „The Culture of Nature“ debattiert werden und der Frage nachgegangen, wie unsere Bilder der Natur unser Weltbild und Verhalten beeinflussen. An drei Eventtagen werden vier eigens von Ruedi Bechtler und Alexandra Blättler eingeladene Kunstschaffende ihre Arbeit vorstellen: Marc Dion, Dana Sherwood, Maria Loboda und George Steinmann.
Das Highlight der Veranstaltung ist freilich, dass die Besucherinnen und Besucher drei Tage in intensivem Austausch mit den Kunstschaffenden verbringen: beim Wandern, beim Gourmetessen oder bei Wellnessanwendungen im hauseigenen Hamam. Denn über die feinschmeckerischen und genießerischen Aspekte des Hotels Castell wären noch mindestens so viele Worte zu verlieren wie über die Erfahrung, sich im „Skyspace“ von James Turrell sitzend der Unendlichkeit des Universums hinzugeben und das Verschwimmen von Zeit und Raum am eigenen Körper wahrnehmend, abdriftend zu levitieren …


Art Weekend Hotel Castell: 23. bis 25. September 2016






PDF Artmapp Juli-Oktober 2016


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